Unter der Lupe

Recording King Ray Whitley, Baujahr 1939

Von Wilhelm Henkes und Rudolph Blazer

Das Modell wie auch das Logo gehören - vorsichtig ausgedrückt - wohl weniger zu den bekannteren Gitarren. Oder hat jemand schon mal von Recording King gehört? Ray Whitley, mit bürgerlichem Namen Raymond Otis Whitley, war aber in der Tat ein "Recording Star", ein Westernheld der ersten Stunde und auch als Sängerknabe, genauer als "Singing Cowboy" wohl bekannt. Also wieder eine Gitarre, die durch einen bekannten "Endorser" die Verkaufzahlen des Herstellers ankurbeln sollte.

"Recording King" bezog sich hier allerdings weniger auf einen vermeintlichen Rekord in Sachen Tonträgeraufnahmen, obwohl Ray Whitley neben anderen Singing Cowboys wie Gene Autry, Tex Ritter, Roy Rogers, Jimmy Wakely einer der ersten wirklich erfolgreichen war. Recording King war die Hausmarke einer Katalogfirma, eines Versandhauses namens Word - Montgomery Ward. Nicht etwa mit Tchibo oder ähnlichem vergleichbar. Man legte durchaus großen Wert auf Qualität und Umfang des Angebots, und das seit nunmehr einhundertvierunddreißig Jahren.

Begründet wurde dieses Versandhaus von Aaron Montgomery Ward im Jahr 1872 in Chicago, Illinois. Schon im Jahr 1904 war der Katalog zwei Kilogramm stark und landete bei drei Millionen Kunden vor der Haustür; ein Katalog voller schöner Möbel, Haushaltswaren und diversem Allerlei. Was auch immer der einsame Farmer aus den unendlichen Weiten der Prairie des Westens oder auch der moderne Städter des Ostens begehrt haben sollte, Ward hatte es und bald darauf auch der Kunde, und das noch COD (Collect On Delivery), per Nachnahme.

Die Frage nach dem Hersteller der Gitarre löst sich schnell: Kaum spielt man ein paar Töne, setzt es einen erstmal (auch wenn man schon sitzt). Diese Gitarre scheint nichts auszulassen, was man von einer ihrer Gattung erwarten möchte. Dazu aber später mehr. In diesem Stil und in dieser Qualität zu bauen war ohne Zweifel nur ein Hersteller in der Lage, nämlich Gibson. Ward hatte schon immer einige Gitarren im Programm, durchaus gute Instrumente und alle unter dem Namen Recording King. Wobei die preisgünstigeren allerdings aus den großen Fabriken in Chicago stammten. Ab Mitte der 30er orderte Ward nun für die obere Qualitätskategorie Gitarren von Gibson, die übrigens ebenso wie alle anderen Gitarren, die Gibson unter anderen Labels für Fremdvertriebe herstellte, keinen verstellbaren Halsstab hatten. Den Anfang für Ward machte die kleine leiterverbalkte Carson J. Robinson, gefolgt von der Archtop Recording King M-5 und der Ray Whitley in den Jahren 1939 und '40. Als Endorser für Gibson musste sich Ray Whitley eigentlich nicht mehr bemühen, da Gibson schon ab ca. 1936 diverse SJ-200 Prototypen für ihn entwickelte (wenn auch nicht als Modell mit seinem eigenen Namen). Vielleicht versprach sich aber Ward einiges aus genau diesem Grund in dem sie einen besonders zugkräftigen Promotor für ihre Zwecke gewinnen konnten.

Für die Kenner der Materie nun noch einige Details über dieses Modell, da in der Fachliteratur über dieses Model noch kaum berichtet wurde: Die Decke ist Adirondack Fichte, der etwas stärkere Hals aus mehrfach verleimtem Ahorn mit Palisandergriffbrett, ohne irgendeinen Stahlstab. Der so genannte Batwing (Fledermausflügel) Steg wurde auch für die Gibsons J-55 und SJ-100 verwendet, allerdings erst nachdem die Ray Whitley schon nicht mehr gebaut wurde in den Jahren '41 und '42. Die Mensur beträgt 63,0 cm wie bei der normalen kurzen Gibson Mensur. Die X-Deckenverbalkung mit zwei Tonbalken non-scalloped ist somit ebenso identisch mit der Verbalkung der J-35 und der späteren J-55.

Die Gesamtausstattung der Gitarre entspricht eher der Advanced Jumbo und ist somit ein echtes Topmodell zwischen der SJ-200 und der AJ. Interessant sind die Haken am Kopf und am Endklotz zur Gurtbefestigung. Das Schlagbrett mit der wilden Maserung und den weiß gefärbten Gravuren kommt schön zur Geltung. Auch die Grover Einzelmechaniken sind hochwertig aber auch recht außergewöhnlich. Mit der Schalllocheinfassung und der Steg- und Schlagbrettform mag das Design etwas eigenwillig wirken aber insgesamt in Verbindung mit dem Kopf durchaus ansprechend.

Klanglich ist die Gitarre kurz gesagt superlativ. Aber durch die kurze Mensur, den massigeren Steg und die nicht ausgearbeiteten Deckenbalken hat sie einen wendigen und feineren Charakter, der nicht ganz so dominiert wie die anderen Palisandermodelle von Gibson, jedoch mit gleicher Dichte und gleichem Druck.

Kurzum, auch wenn das Logo anders lautet, die Ray Whitley ist eine echte Palisander Gibson, wie sie im Buch steht, und was für eine!

Recording King Ray Whitley, Baujahr 1939
Schlagbrett mit Gravuren, Batwing Bridge mit umlaufend abgestuftem Profil
Das Logo mit Krone und Ray Whitley Signatur

Seitenansicht mit Palisanderzarge, gut erkennbar hier die Kontur des Stegs

Markante Grover Mechaniken und Haken zur Gurtbefestigung
Zurück zur Übersicht >>

(Bilder anklicken - vergrößerte Ansicht)